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Fachartikel


Wozu dient nun das Systembrett? Kapitel 3 aus dem Buch "Aufstellungen mit dem Systembrett"
von Wolfgang Polt
Das Systembrett findet überall dort Anwendung, wo es sich um ein Anliegen handelt, welches mehrere Personen, zum Beispiel Teams - genauer gesagt Systeme betrifft. Als System kann aber nicht nur eine Familie, ein Team, eine Abteilung oder Unternehmenshierarchie dargestellt werden, sondern auch z.B. das "Innere Team" (vgl. SCHULZ von THUN 2000), d.h. die inneren Anteile bei inneren Konflikten, aufgestellt und visualisiert werden.

Um die Frage nach der Begründung für die Beratung mit dem Systembrett zu beantworten lassen sich grundlegende Erkenntnisse der modernen Gehirnforschung heranziehen, welche gezeigt haben, dass der Prozess der Informationsaufnahme, -speicherung und -verarbeitung zu ca. 80 Prozent im Unterbewussten, hingegen nur ca. 20 Prozent im Bewussten ablaufen - auch eine Bestätigung des vollzogenen Wertewandels der neueren Interventionsformen von der kognitiven auf die somatische Methodenebene.

Für die praktische Reflexion menschlichen Wahrnehmens, Denkens, Fühlens und Handelns bedeutet dies, dass den unbewussten Vorgängen einfach mehr Beachtung geschenkt werden muss, liegen doch darin die verborgenen Ursachen und Potenziale kritischer Situationen. Da aus unbewusstem Tun unbewusste Reaktionen resultieren, kristallisieren sich aus diesen (bei unangepasster Intervention durch den Klienten selbst oder den Berater) folglich unbewusste, in vielen Fällen chronifizierte Muster.

Je unbewusster nun Menschen agieren, desto mehr werden sie zum Spielball ihrer unbewussten Rollen und Muster (vgl. TOLLE 2004), Aktionen und Reaktionen, kurz gesagt das Leben erscheint fremdbestimmt, wie von unsichtbaren Fäden in bestimmte Richtungen gezogen. Dieser Zustand von Ohnmacht (im Sinne von ohne Macht) wird von vielen Klienten erlebt und als solcher in unterschiedlichen Beratungskontexten geschildert.

Doch wie befreit man sich aus diesem unsichtbaren Netz an unbewussten Mustern? Je mehr der Fokus wieder auf die Bewusstheit des Seins und Tuns gerichtet wird, desto deutlicher wird die Erkenntnis, dass jede Aktion zwangsläufig eine Reaktion hervorruft, die Zirkularität ist nicht mehr im Verborgenen, sondern sichtbar und somit auch änderbar. WITTGENSTEIN formulierte in seinem Tractatus logico philosophicus folgende bahnbrechende These: "Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen." (WITTGENSTEIN 1998). Für eine grundlegende Begründung der Sinnhaftigkeit der Systembrett Anwendung ließe sich diese These wie folgt abändern:

"Was sich klar erkennen lässt, lässt sich (heilen) lösen, und was man nicht erkennen (sehen) kann, darunter muss man leiden."

Daraus lässt sich ableiten, dass in jeder Form der Beratung ein Prozess des Erkennens der unbewussten Muster in Gang gesetzt werden muss, ein Prozess, der über die Bewusstheit von Gedanken, Gefühlen, Mustern und Verstrickungen hinaus zu einer schöpferischen und machtvollen (als Gegensatz zur ohnmächtigen) Erkenntnis und damit zur Lösung von Problemen führt. So gelangen Klienten durch die Methode Systembrett aus einer ohnmächtigen "mir geschieht"-Rolle in die weitaus mächtigere "ich mache"-Rolle und können sich so (wieder) als Schöpfer ihres Lebens wahrnehmen.

Zu mehr Erkenntnis (und Schöpferbewusstheit) zu gelangen scheint eine der essentiellen Aufgaben in unserem Leben auf diesem Lernplaneten zu sein. Einen ausgezeichneten Weg Erkenntnis zu erlangen stellt die Visualisierung, das Schaffen von Überblick und neuen Perspektiven dar. Da die Aufnahme von Information bei ca. 70 Prozent der Menschen mit dem visuellen Repräsentationssystem ablaufen (hingegen "nur" 5 Prozent auditiv bzw. 25% kinästhetisch) erscheint uns das Sichtbarmachen einer als problematisch erlebten Lebenssituation mit dem Systembrett als optimale Intervention, um den Betrachter zu mehr Informationen und somit zu mehr Bewusstheit zu führen.

Viele unserer Klienten erleben sich zu Beginn einer Beratung also in dieser ohnmächtigen Rolle, in der "ihnen alles einfach so passiert". Sie haben in diesem Zustand auch ihre Eigenverantwortung und jegliche Macht über ihren Zugang zu ihren ureigensten Lösungen abgegeben. Der Berater oder der Coach soll Linderung, Heilung und schlussendlich die Lösung bringen, der Klient gibt also seine eigene Expertenrolle sein eigenes Leben betreffend vollkommen aus seiner Hand. Wiederum erlebt sich der Klient fremdbestimmt.

Dazu kommt, dass der Klient sein System - dieses als Problemsystem erlebte - nur von innen kennt. Sein Systemhorizont gleicht dem einer Ameise auf dem Waldboden, die ein Stückchen Erde als ihr Universum wahrnimmt. Das Ganze aus einer menschlichen Distanz von etwa zwei Metern betrachtet zeigt ein ganz anderes Bild: Der Waldboden, auf dem die Ameise lebt, ist nur ein winziger Ausschnitt eines viel größeren Waldes. Und der Flug des Adlers über diesen Wald zeigt diesem natürlich wiederum ein ganz anderes Bild, als es der Mensch am Boden wahrnehmen kann.

Ein weiterer Punkt, der für die Intervention des Systembretts spricht ist: der Klient bringt sich mit seinem Denken, mit seiner linken Gehirnhälfte in Probleme. Durch sein Denken erdenkt er sich Problematisches und erlebt damit naturgemäß Problematisches. Durch weiteres "sich den Kopf zerbrechen" gräbt er sich weiter in das selbst geschaffene Problemsystem und irgendwann ist das Problem so weit "zer"-dacht, dass eine Lösung auf derselben Ebene, auf der das Problem erschaffen wurde, nicht mehr möglich scheint. Das heißt, hier muss auf einer anderen Ebene (Metaebene) als auf der kognitiven der Zugang zu einer Lösung geschaffen werden.

Genau hier setzen wir als Intervention das Systembrett ein: Zum ersten Mal kann unser Klient das System aus einer anderen Perspektive, einer Meta-Perspektive wahrnehmen. Er wechselt seinen Standpunkt und gewinnt Überblick über die Positionen der Mitglieder im System. Und das ohne kognitive Leistung, sondern einzig und allein dadurch, dass der Klient das System aufstellt und so für sich visualisiert. Ohne großes Zer-denken, ohne großes Zer-reden schafft er für sich einen Zugang, der sich ihm bis dato so nicht gezeigt hat. Mit einem ganz neuen Blick - quasi aus der Adler-Perspektive - kann der Klient sein System wahrnehmen.

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